Empathie-Training
Organisationsentwicklung
Konfliktmanagement
WECKERT LIEST Von Stadtaffen und Bioknollen
von: Al Weckert
in: Kommunikation & Seminar 10/2012, S. 60-61
Meine zwei Töchter, die eine acht, die andere 13, sind stolz wie Bolle, kurbeln das Fenster herunter und fordern, dass ich Peter Fox in den CD-Player werfe. Es ist Samstagmittag, 30 Grad im Schatten und die Mädchen grölen „Der Stadtaffe hat die Stadt im Blut”. Wir fahren über die Al 13 – genau die, die Rot-Grün zu Fall gebracht hat – zu unserer Scholle, um Biogemüse zu ziehen.
Papa ist auch ein Stadtaffe. Wochentags macht er mit Managern Gewaltfreie Kommunikation. Am Wochenende trifft er sich mit Tausenden anderen Stadtaffen im Kater Holzig, um die Nacht durchzufeiern. Damit er bei diesem Programm schön fit bleibt, startet er jeden Morgen mit einer Riesenportion Bioobst in den Tag. Mittags Reisgerichte, abends Biosalat. Und Ausnüchtern lässt es sich nirgends besser als beim Unkrautjäten in der reichhaltigen Berliner Pflanzenerde. Weil Stadtaffen allerdings keinen Garten haben, geht’s am Samstagmorgen in den Garten von Max von Grafenstein.
Das Geschäftsmodell „Wir pflanzen – Sie ernten” überzeugte uns sofort. Für 36 Gleichgesinnte hat Max am Stadtrand drei riesige Gemüsekreise angelegt, von denen uns ein Kuchenstück gehört. Dort wachsen jetzt Kartoffeln, Möhren, Kohlsorten, Zucchini, Kürbisse, Sonnenblumen, Tomaten und alle Feldfrüchte, die das Herz begehrt. Max bestellt und wässert die Felder, pflegt die Wege und gibt Gemüse- Workshops. Wir jäten, mulchen, ernten und pflanzen fleißig nach. Es lohnt sich: Vom Frühjahr bis in den Herbst gibt es feinsten Nachschub für die Küche.
Ein richtiges Erfolgsmodell wurde die Scholle jedoch erst, als die 13-Jährige in eine sozial bedingte Ernährungskrise schlitterte. Denn plötzlich stand ein neues Stadtaffenthema groß auf der Agenda: „Alle anderen sind dünner als ich.” Was teilweise sogar zutrifft. Unsere Tochter hat – medizinisch betrachtet – das Idealgewicht, einige Klassenkameradinnen tendieren zum Storch.
Der Wendepunkt dieser Krise gelang uns gemeinsam in Frankreich, dem Land der Gourmets. Dort wird lecker gegessen und trotzdem sind die meisten Menschen bestechend gut in Form. Statistisch gesehen investieren Franzosen erheblich mehr Geld in Ernährung als ihre europäischen Nachbarn. In dieser Gesellschaft haben wir uns als Familie Zeit genommen, um über unsere Körper, unsere Vorstellungen von uns selbst und Auswirkungen der Ernährung auf unser Befinden zu sprechen. Folgende Bücher und Filme hatten Einfluss auf diese Gespräche.
Achtmal haben wir diesen Pixar-Animationsfilm im Kino geguckt! Er erzählt die Geschichte der Wanderratte Remy, die das Motto des Sternekochs Gusteau wörtlich nimmt: „Jeder kann kochen.” Höhepunkt des Films ist eine Sequenz, in der Remy seinem Bruder Emile das Komponieren unterschiedlicher Zutaten erklärt. Die Regisseure visualisieren die Erfahrung von Geschmack unter ausschließlicher Verwendung von Farben, Linien und Musik und ohne konkrete Bilder von Essen. Einfach großartig!
Die Kids lieben Jamie Olivers Rezepte, weil jedes davon ein Kunstwerk, eine Bastelarbeit und ein kleines Abenteuer ist. Ganze Urlaubstage haben wir damit verbracht, Orangen zu karamellisieren und Pekannüsse in Ahornsirup zu schwenken. Dazu diese endlosen Suchaktionen für Jamies exotische Zutatenlisten. Die Kinder lernen Produkte kennen, denen man sonst im Leben nicht begegnet. Jamie Oliver ist Spaß und schmeckt eigentlich immer.
Eine Beauty-Journalistin und eine Psychotherapeutin zeigen jungen Mädchen, wie man eine gute Figur hinkriegt und trotzdem mit Lust den Tisch deckt. Klingt das zu einfach? Unsere 13-Jährige hat dieses Buch verschlungen. Hier wird Klartext geredet: wie uns die Industrie mit versteckten Dickmachern reinlegt, warum Diäten meistens nicht funktionieren und wie gesunde Lebensmittel tolle Haut und schöne Fingernägel formen.
Auch hier werden Basics erklärt: Was beeinflusst unser Hungergefühl? Mit welchen Essgewohnheiten machen wir jeden Vorsatz kaputt, weil wir gegen die Logik unseres Körpers arbeiten? In welchem Rhythmus muss ich essen, damit die Nahrung sinnvoll verarbeitet wird? In diesem kleinen Buch stehen die wesentlichen Erfolgsgeheimnisse. Im Unterschied zu „Iss dich schön” richtet es sich an Erwachsene. Schlüsselbegriffe wie Cortisol-, Dopamin- oder Serotoninspiegel müssen erst verdaut und in das bestehende Wissen einsortiert werden. Aber dann! Mit diesem Buch konnten wir unserer Tochter bereits im Urlaub helfen, wie man gleichzeitig schlemmen und die Figur halten kann.
Das Buch wiegt 1,8 Kilo und auf dem Rückumschlag ist eine weißhaarige Frau, die Autorin, vor einem gigantischen Gemüsekorb abgebildet. All das zusammen mit dem Klang ihres Nachnamens und dem Inhalt ergibt einen Glaubwürdigkeitsfaktor von 1000. Das Ganze wird als Bibel für Biogärtner angepriesen – zu Recht! Der Verlag hat keine Kosten gespart, um das Buch opulent zu illustrieren, die Autorin gibt ihre komplette Lebenserfahrung als Öko-Bäuerin weiter. Für uns ist besonders der Arbeitskalender interessant: Wann ist was zu tun, damit auf der Scholle so richtig die Post abgeht?
Ein gelungenes Ernährungsexperiment mit Kleinkindern ist eindrücklicher als hundert gute Worte. Wer glaubt schon seinen Eltern, wenn die über Cola herziehen? Legen Sie stattdessen mit Ihrem Kind 30 Stücke Zucker auf eine Waage und stellen Sie die Cola-Flasche daneben. Bingo! Mithilfe dieses Buches können Sie Butter herstellen, Farbe aus Möhren gewinnen und Eier mit Zahncreme vor Säure schützen. Das ist unterhaltsam, funktioniert ohne erhobenen Zeigefinger und bleibt haften! Der Urlaub ist vorbei und der Sommer kommt ein letztes Mal in Wallung. Die Kinder ernten Kartoffeln und Bärlauch, wir kochen einen Kartoffelauflauf daraus. Meine Frau bekommt nachts um elf eine Hungerattacke und schneidet die Rote Beete zu einem Salat mit Knoblauch. Wir sitzen auf dem Balkon und genießen ganz unkorrekt (nie nach 19 Uhr zu Abend essen!) Salat und Wein. Undiszipliniert, aber lecker. Was haben Sie von Stadtaffen erwartet? Immer nach Plan? Aus der Stereoanlage wummert „Das Haus am See”. Und so fühlen wir uns. Warm, verbunden und versorgt mit der Energie der Bioknolle.
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