Empathie-Training
Organisationsentwicklung
Konfliktmanagement
Vierter Teil der Serie rund um Mediation
Diplomvolkswirt, Autor und Trainer Al Weckert über die Grundlagen der Konfliktvermittlung zwischen zwei Streitparteien
Veröffentlicht in: Empathische Zeit 4/2017
Neulich bekomme ich den Anruf einer Personalabteilung: Alarm, Alarm!
„Frau Schulz und Frau Meier, früher beste Freundinnen, sind sich plötzlich spinnefeind, sodass der Workflow der ganzen Abteilung darunter leidet. Gemeinsam sollen sie die Auftragsvergabe für die Außendienstmitarbeiter koordinieren. Sie reden aber nicht mehr miteinander. Und niemand traut sich mehr bei ihnen ins Büro.” Mediation ist das Mittel der Wahl, wenn der Streit nicht nur die Sachfrage betrifft, sondern auch die Beziehung beschädigt. Unter Feinden nimmt man sich jede Meinungsverschiedenheit krumm – egal wie klein und nebensächlich sie ist. Die Streitparteien stehen sich mit durchgedrücktem Gaspedal Stoßstange an Stoßstange gegenüber. Da sie jedoch beruflich, geschäftlich oder persönlich weiter an einander gebunden sind, brauchen sie eine Lösung – bevor die Motoren trocken und die Fahrer im Smog erstickt sind. Deshalb setzt das Mediationsverfahren am Aufbau von neuem gegenseitigem Verständnis an. Kehren Respekt und Vertrauen in die Beziehung zurück, kann der Fuß vom Gaspedal genommen werden. Der Qualm verzieht sich, die jaulenden Motoren verstummen. Befreit vom Druck des sich-ständig-behaupten-müssen, können die Beteiligten nach Auswegen suchen. Was es braucht, um zwei Kontrahenten dabei zu begleiten, fasst dieser Artikel zusammen.
Im Gespräch mit Auftraggeber und Streitparteien prüfe ich, ob der Fall auch bei einer genaueren Inaugenscheinnahme für eine Mediation geeignet scheint. Das Gesetz schreibt zum Beispiel vor, dass die Teilnahme an einer Mediation freiwillig zu erfolgen hat.
Beispiel: Mitarbeiterin Schulz freut sich auf die Mediation. Mitarbeiterin Meier hingegen wurde zur Teilnahme verpflichtet. Ich frage sie, mit welchen Konsequenzen sie bei Nichtteilnahme zu rechnen hat. Darüber weiß sie nichts Genaues. Mit Sanktionen wurde ihr nicht gedroht. Ich bitte sie eine freie Entscheidung zu treffen, ob sie an der Mediation teilnehmen möchte oder ob wir das Gespräch an dieser Stelle abbrechen sollen. Sie antwortet: „Wir können es ja mal probieren:’
Ich erfrage auch, welche Vorgeschichte die Mediation hat. Sitzen alle am Streit beteiligten Personen mit am Tisch? Wurden bereits andere Vermittlungsversuche unternommen? Geht es um die Klärung einer spezifischen Streitsache oder mehr die Frage, wie die Beteiligten zukünftig zusammenleben oder miteinander arbeiten? Welche Entscheidungen dürfen die Beteiligten bezüglich der Lösung treffen und an welche Rahmenbedingungen müssen sie sich halten? Anschließend befrage ich auch mich selbst: Bin ich in der Sache neutral, befangen oder sogar parteilich?
Die Prüfung der Freiwilligkeit und der Eignung für Mediation ist Teil der Auftragsklärung. Im Fall Schulz/Meier ist die Einschätzung einfach. In anderen Fällen ist die Sachlage komplexer.
Learning: Wenn Nachbarn über die Regelung eines Wasserschadens streiten, muss zum Beispiel geprüft werden, ob eine Mediation zur Verjährung von Ansprüchen und somit für eine der Parteien zu einer Situationsverschlechterung führen könnte. Bei einer Scheidungssache mit Streit um das Sorgerecht muss die Urteilsfähigkeit der Ehepartner und die psychische Stabilität der Kinder mitbedacht werden. Gegebenenfalls sind beratende Anwälte oder Familienhelfer mit einzubeziehen.
Anschließend erklärt der Mediator den Streitparteien das Verfahren und sein Vorgehen. Das Mediationsgesetz schreibt auch hier die wichtigsten Informationen vor. Der Mediator ist für das Verfahren und die Moderation verantwortlich, mischt sich aber in keiner Art und Weise in die Inhalte der Mediation ein. Er spricht kein Urteil und macht keine Lösungsvorschläge. Die Verantwortung für die Gesprächsinhalte und die Abschlussvereinbarungen tragen ganz allein die Streitparteien. Der Mediator führt die Beteiligten Schritt für Schritt durch die fünf Phasen der Mediation: Er schlägt Regeln zum Thema Vertraulichkeit und zur Gesprächsführung vor, er erfragt die zu klärenden Themen, er leitet die Konfliktbearbeitung, strukturiert die Lösungssuch und unterstützt bei der Ausformulierung von Vereinbarungen.
Beispiel: Frau Schulz und Frau Meier wissen fast nichts über das Verfahren der Mediation. Auch das ist ein Grund, war um Frau Meier anfangs skeptisch und misstrauisch ist. Ihre Vorurteile gegenüber der eigenen Führungskraft überträgt sie auf den Mediator. Als ihr das Verfahren erklärt wird, ist sie zunächst verwirrt. Beide Streitparteien betreten bei diesem Verfahren Neuland. Das ist aus Sicht des Prozesses gut. Einer Veränderung geht stets Irritation voraus. Denn in dem „alten Land”, in dem sich beide bestens auskennen, haben sie einen gehörigen Blechschaden angerichtet.
Nach den Vorgesprächen entwirft der Mediator ein Konzept für die Mediation. Er entscheidet sich für bestimmte Methoden, schätzt den Zeit aufwand ein und formuliert einen Mediationsvertrag. Beim Vertrag greift er in der Regel auf seinen Standardvertrag zurück, den er – falls nötig -an Besonderheiten des Falls anpasst. Der Vertrag enthält auch Angaben zum Honorar. Er nennt Tagessätze, keine Fallpauschale oder Erfolgsprämie. Sie erinnern sich: Das Ergebnis und sein Zustandekommen hängen von den Beiträgen der Streitparteien ab. Der Mediator soll nicht in Verführung kommen Druck auszuüben oder inhaltliche Vorschläge zu machen.
Beispiel: Im Fall Schulz/Meier werden zwei unterschiedliche Dokumente ausgearbeitet. Ein schriftliches Angebot geht an die Personalabteilung. Es regelt die Rahmenbedingungen (Ort, Honorar, Anzahl der Treffen) und spezielle Absprachen zur Vertraulichkeit. Ein weiterer Vertrag beschreibt die Regeln und den Ablauf des Mediationsverfahrens, sowie die Rollen der Beteiligten. Dieser Vertrag wird vom Mediator und den Streitparteien unterzeichnet.
Tipp: Viele Mediationen basieren auf Verträgen per Handschlag. Bei dieser Arbeitsweise ist allerdings doppelt wichtig, dass Sie die gesetzlichen Informationspflichten anhand einer Checkliste abarbeiten. Lassen Sie die Streitparteien Ihre Checkliste ruhig sehen. Damit sichern Sie sich gegen Regressforderungen ab, falls Ihnen nachträglich Verfahrensfehler unterstellt werden.
Mediatoren treffen fast immer auf festgefahrene Positionen. Was der eine sagt, wird vom anderen bestritten. Das wiederum bietet Anlass zur nächsten Kampfansage. Da sich diese Rituale meistens in festen Umgebungen abspielen, lohnt sich ein Ortswechsel. Ein Mediationsraum mit optimistischen Wandfarben, ruhigen Dekor und einer zugewandten (aber auf keinen Fall frontalen) Sitzordnung ist optimal. Zur Not tut es aber auch ein neutraler Meetingraum. Dann allerdings ist ein großes Schild mit der Aufschrift „Nicht stören!” wichtig.
Ich bitte meistens zunächst um Einzelgespräche. Ich verbinde damit dreierlei: (1) Die Streitparteien lernen mich kennen und fassen Vertrauen.(2) Ich biete ihnen die Möglichkeiten Dampf abzulassen und über persönliche Verletzungen zu reflektieren. (3) Ich kann in Ruhe das Verfahren erläutern.
Beispiel: Frau Schulz und Frau Meier teilen mir im Vorfeld wichtige persönliche Informationen mit. Frau Schulz bearbeitet das Beziehungsthema bereits in einem psychotherapeutischen Kontext. Frau Meier wurde bereits zweimal versetzt, weil sie Streit mit Kollegen hatte.
Eine Mediation durchläuft planmäßig fünf Phasen. Rechnet man Vorgespräche und Nachbereitung hinzu kann sich das Phasenmodell auf sieben erweitern. In großen Gruppen nehmen die Phasen zwei und drei viel Zeit in Anspruch. Sie werden in der Literatur (zum Beispiel „Praxis der Gruppen- und Teammediation”, Junfermann Verlag) manchmal auch als Phasen 2 a + b und 3 a + b bezeichnet.
Beispiel: Frau Schulz und Frau Meier saßen sich zunächst mit offener Feindseligkeit gegenüber. Frau Meier ignorierte ihre Kollegin und Frau Schulz war den Tränen nahe. Aus dem Gespräch ergab sich, dass die beiden in einem Beziehungsschema festhingen. Frau Meier wiederholte mit Frau Schulz ihre Vorgängerkonflikte. Sie charakterisierte sich als „offensiv’ „im Recht” und „desinteressiert an der Reaktion des anderen”. Frau Schulz sah sich sogar in einem „Lebensschema” verstrickt: „Opfer”, „hilflos” und „verletzt” sein. Im Gespräch wurde beiden klar, wie die Schemen ineinandergreifen. Frau Schulz brach das Eis, indem sie von ihrer Therapie berichtete. Daraufhin erzählt Frau Meier, dass sie eine Wiederholung der Versetzung befürchtete. Der Wendepunkt wurde erreicht, als Frau Meier ihre Aggression ablegte und Frau Schulz ganz ruhig bat: „Sprich doch bitte mir gegenüber aus, wenn etwas ist” .Die beiden vereinbarten einen wöchentlichen Austausch über ihre Belange bei Tee und Kuchen. Sie vereinbarten Tage, an denen sie abwechselnd ins Homeoffice gehen, um die Reibungspunkte möglichst gering zu halten. Sie besprachen die Veränderung einiger problematischer Arbeitsprozesse (E-Mail-Bearbeitung, Posteingang etc.) bis zur gemeinsamen Zufriedenheit. Dann schüttelten sie sich die Hand.
Die Arbeit als Mediator setzt eine zugewandte Grundhaltung, eine asketische Gesprächsleitung und die Kenntnis zahlreicher Interventionstechniken voraus. Die Grundhaltung ist geprägt von Empathie: Interesse an den Gefühlen, Bedürfnissen und Überzeugungen anderer Menschen. Entscheidend ist aber auch die Qualität der Selbstwahrnehmung. Was löst der Prozess in mir aus? Welche Resonanzen spüre ich und was sagt mir das über die Verhaltensmuster der Beteiligten? Bin ich offen, neutral und allparteilich? Kann ich es mir eingestehen, wenn eine Situation mich überfordert?
Asketisch ist die Gesprächsleitung im Sinne der „freiwilligen Enthaltsamkeit”. Der Mediator macht den Streitparteien keine Lösungsvorschläge. Er bewertet weder ihr Verhalten, noch ihre Bedürfnisse und Lösungsideen. Er beschränkt sich auf die Verfahrensleitung und die Gesprächsmoderation. Dabei nutzt er seine neutrale Stellung und seine Resonanzfähigkeit, um die eigentlichen Anliegen hinter Forderungen und Schuldzuweisungen herauszuarbeiten. Durch die Übersetzungsarbeit verliert das Gespräch sein Gift. Die Selbstheilungskräfte des Systems werden reaktiviert. Die „Enthaltsamkeit” unter scheidet den Mediator vom Richter. Der Mediator „vertraut in den Prozess”, den er durch seine Erfahrung und Interventionstechniken auslöst.
Die Arbeit im Rahmen einer Zweiermediation unterscheidet sich stark von der Arbeit mit Gruppen und Teams. In Gruppen braucht man ein großes Methodenrepertoire, um den Prozess effizient und dynamisch voranzutreiben. Der Mediator muss neben den Inhalten auch die Zeit, die Konzentrationsfähigkeit, die Gruppendynamik und den Fokus im Blick behalten. Das Jonglieren mit vielen Bällen braucht Mut, Erfahrung und Struktur.
Bei einer Zweiermediation geht es eher um Basics wie zum Beispiel: –
Beispiel: Die Arbeit, die ich in der Mediation mit Frau Schulz und Frau Meier geleistet habe, basiert auf der Haltung der Empathie und der Technik der Gewaltfreien Kommunikation. Genauso wichtig ist aber die Absicht, nicht nur auf die Vergangenheit und die offensichtlichen „Macken” der Protagonisten, sondern vor allem auf deren Zukunft und Entwicklungspotentiale zu gucken. Das Nachgespräch vier Wochen später bestätigte den Erfolg und die Nachhaltigkeit der Mediation.
Die Vergangenheit ist für den Mediationsprozess Handicap und Chance. Der Blick zurück treibt die Beteiligten auseinander, wenn dabei nach Schuldigen gesucht wird.
In der Vergangenheit liegt aber auch der Schlüssel für eine bessere Zukunft, wenn nämlich aus den Erfahrungen der Streitparteien die Parameter für eine gute Lösung abgelesen werden können.
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