Lügen – wie die Unwahrheit entlarvt wird…

11. März 2014

Gastblog von Robert Körner, ehemaliger Militärpolizist und Mimikresonanz®-Trainer: Statistisch betrachtet sind wir drei Lügen pro zehn Minuten Gesprächszeit ausgesetzt. Dabei haben Studien gezeigt, dass selbst Berufsgruppen, die sich intensiv mit der Wahrheitsfindung auseinandersetzen (Richter, Polizisten etc.), nur ca. 50 Prozent der aufgetischten Lügen nonverbal erkennen können. Genauso gut ließe sich für die richtige Urteilsfindung eine Münze werfen. In diesem Blog berichtet Robert Körner, woran sich Lügen erkennen lassen und wie man die Lügenerkennung trainieren kann.

Robert Körner Lügen erkennenLügen erkennen

Die Thematik der Lügenerkennung ist mit einer besonderen Komplexität versehen, da die Erkennungsmerkmale von Individuum zu Individuum verschieden sind. Ein einfaches Kratzen an der Nase oder die plötzliche Rötung der Haut sind alleinstehend keine zuverlässigen Signale. Es wäre klischeehaft und unseriös zu behaupten, dass ein Lügner so gut wie Pinocchio an einem besonderen Merkmal der Unwahrheit zu überführen sei. Glücklicherweise weißt die Wissenschaft seit mittlerweile fast 50 Jahren hinreichende Forschungsarbeit auf, die Licht ins Dunkel bringt.

Paul Ekman –Pionier der Mimikforschung

Wenn sich jemand mit Lügen auskennt, dann ist es der amerikanische Psychologie-Professor Paul Ekman. Seit Mitte der 60er hat sich der Wissenschaftler intensiv mit der menschlichen Mimik, Empathie und Lügenerkennung befasst. Die ersten zwanzig Jahre erforschte er alles, was mit Lügen zu tun hat. Die letzten Jahre brachte er Polizisten bei, wie man Mörder enttarnt, CIA-Agenten, wie man Spione entdeckt, und den Beamten der amerikanischen Flughafensicherheit, wie man verdächtige Passagiere aus der täglichen Masse von zwei Millionen Fluggästen herausfiltert.

Kursteilnehmer, die von Ekman ausgebildet werden, können 95 Prozent aller Lügen entlarven – und das ganz ohne technische Apparate wie Lügendetektoren. Das besondere Augenmerk liegt dabei auf den Mikroexpressionen: sehr kurze (40 – 500ms) und teils winzige Veränderungen des Gesichtsausdrucks, die durch das emotionale Zentrum im Gehirn (sog. limbisches System) ausgelöst werden und dadurch nicht steuerbar für uns Menschen sind.

Mikroexpressionen – Flinke Boten der Wahrheit

„Die meisten Menschen“, so Ekman, „sehen diese Mikroexpressionen nicht.“ Das hat diverse Gründe. Zum einem sind wir darauf konditioniert, auf den sprachlichen Inhalt zu achten und nonverbale Signale zu ignorieren. Das hat mit einer kulturellen Übereinkunft der Diskretion zu tun. Was Menschen sagen, teilen sie bewusst mit. Ihre Mikroausdrücke dagegen verraten unbewusst die verborgenen Emotionen. Zum anderen huschen „Micro Expressions“ oft nur in wenigen Sekundenbruchteilen über das Gesicht – zu wenig Zeit für das ungeschulte Auge, um sie einwandfrei erkennen zu können.

Allerdings lässt sich diese Fähigkeit schnell erlernen – äquivalent zu den Geheimagenten und Bundespolizisten der USA. Eine Steigerung findet bereits statt, wenn die wichtigsten Gefühle im Gesichtsausdruck dezidiert erkannt werden können und einige wenige andere Merkmale des Lügens bekannt sind. Um mehr Achtsamkeit für die Mimik des Gegenübers zu erlangen, ist es außerdem zielführend zu erlernen, einzelne Muskeln im Gesicht bewusst kontrahieren zu können.

Ekman hat beispielsweise so lange trainiert, bis er jeden seiner 44 Gesichtsmuskeln bewusst bewegen konnte. Er ist sogar in der Lage mit jedem Ohr einzeln zu wackeln, eine der herausforderndsten Übungen. Bis das erreicht war, saß er stundenlang mit seinem Kollegen Wallace Friesen vor dem Spiegel und sie schnitten Grimassen. Wenn es den beiden nicht gelang, einen bestimmten Muskel zu aktivieren, gingen sie eine Tür weiter in die anatomische Abteilung zu einem befreundeten Chirurgen. Dieser stieß dünne Nadeln in den jeweiligen Muskel und reizte ihn mit Strom. Insgesamt dauerte so die Arbeit der beiden Forscher sieben Jahre. Am Ende wurden rund 10.000 verschiedene Gesichtsausdrücke identifiziert, von denen 3000 einen emotionalen Sinn ergaben. Ekman und Friesen haben ein System erfunden, mit dem sie sie logisch katalogisieren können. Das „Facial Action Coding System (FACS) füllt fast 700 Seiten und kartographiert die menschliche Mimik wie ein Atlas.

„Truth Wizzards“ – Menschliche Lügendetektoren

Nur Wenige verfügen über ein besonderes Alleinstellungsmerkmal und benötigen das FACS nicht, um Lügen zu erkennen. Sie sind das, was der Amerikaner als „Truth Wizzards“, „Hexenmeister der Wahrheit“, bezeichnet. Sie erkennen ohne jedes Training jede Lüge, jede Verheimlichung, jede Verfälschung. Die US-Behörden versuchen seit den Anschlägen des 11. Septembers 2001 jene Hexenmeister zu finden und an den Flughäfen zur Kontrolle der Passagiere einzusetzen. Ekman untersuchte im Zuge seiner Forschung 15.000 Probanden, wobei nur 50 davon Lügen einwandfrei und ohne Training erkennen konnten. Damit verfügt nur jeder 300ste über diese Gabe, obwohl sie uns von Geburt an begleitet: Solange Säuglinge und Kleinkinder nicht reden können, sind Mütter und Väter in der Lage, ihre Körpersprache exakt zu deuten. Schmerzen, Hunger, volle Windel? Eltern haben meist das richtige Gespür für die Auslöser des kindlichen Unbehagens.

Baseline, Brokaw und Othello – Grundlagen des Erkennens von Lügen

Um eine Lüge überhaupt erst einwandfrei erkennen zu können, muss die grundlegende Voraussetzung geschaffen sein, die mimischen Eigenheiten des Gegenübers zu kennen. Forscher sprechen in diesem Zusammenhang von der Baseline. Diese ist der individuelle Ausdruck eines jeden. So individuell wie die Menschen sind, so individuell gestaltet sich ebenfalls die nonverbale Kommunikation. Durch gezielte Beobachtung wird es ermöglicht diese Baseline kennenzulernen.

Karl Heinz Rummenigge MimikBei meinen Recherchen ist mir zum Beispiel aufgefallen, dass Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandsvorsitzender des FC Bayern München, unabhängig von seiner emotionalen Situation, immer wieder den Mundwinkel einseitig in die Wange presst. Diese Aktivierung des „musculus buccinator“ steht im engeren Sinne für die Emotion Verachtung. Der zweifache Fußballer des Jahres von Europa deutet damit allerdings nicht an, wie sehr er die umherstehenden Reporter missbilligt (s.u.), sondern vielmehr ist diese Expression Teil seines Individuums. Vergleichsweise sind die hängenden Mundwinkel von Frau Merkel kein zuverlässiges Zeichen für Trauer.

Insofern Sie jemanden zum ersten Mal begegnen, bietet es sich an, die Baseline in Erfahrung zu bringen. Nicht weniger geschieht bei einem Verhör. Geschulte Ermittler bauen eine vertrauensvolle, “warme” Situation auf und bieten mitunter sogar einen Kaffee an. Es wird nichts unterlassen, damit sich der mutmaßliche Delinquent zunächst wohlfühlt.

Das Ganze geschieht vor einem simplen Hintergrund: Würden die Ermittler den Verdächtigen von Anfang an unter Druck setzen, so wäre es ihnen unmöglich dessen natürliche Reaktionen zu erfahren. Es werden nonverbale Antwortmuster auf Fragen wie „Was möchten Sie trinken?“, „Wie ist Ihr Beziehungsstatus?“ oder „Welchen Beruf üben ihre Eltern aus?“ als “Benchmark” genutzt, um das individuelle Verhalten in einer stressfreien Situation erfassen zu können. Das spannende ist erst die Abweichung von der Baseline bei heiklen Fragen im weiteren Verlauf des Verhörs.

Für den Laien gilt diese Methodik gleichermaßen: Finden Sie heraus wie die Baseline Ihres unbekannten Geschäftspartners, Blind-Date, oder Kunden ist. Stellen Sie dazu einfache Kontrollfragen. Z.B.: „Wie war die Fahrt hierher?“, „Was hatten Sie zum Mittag?“ oder „Was haben Sie morgen vor?“ Beachten sollten Sie dabei, sogenannte W-Fragen zu stellen. Vermeiden Sie Fragen, die mit einem lapidaren „Ja“ oder „Nein“ beantwortbar sind: „Geht’s Ihnen gut?“, „Hatten Sie eine gute Fahrt?“ oder  „Hat Ihnen der Kaffee geschmeckt?“.

Der Brokaw-Fehler

Es bedarf also zunächst der Kenntnis der individuellen Eigenheiten des Gegenübers. Anderweitig unterliegt man zwangsweise dem Brokaw-Fehler: Tom Brokaw war Moderator der „Today Show“ und beschrieb wie er Lügen erkennen würde. „Die meisten Hinweise, die mir Menschen geben, sind nicht körperlicher, sondern verbaler Natur. Ich suche nicht im Gesicht einer Person nach Anzeichen für eine Lüge. Worauf ich aus bin, sind komplizierte Antworten oder gezierte Ausflüchte.“ Diese Methodik hat ihre natürlichen Grenzen, da gewissermaßen genauso viele einsilbige wie ausschweifende Menschen existieren. Jedes Verhalten, das einen nützlichen Hinweis auf eine Täuschung gibt, gehört bei einigen Menschen zum üblichen Verhaltensrepertoire. Dies gilt es zwingend zu beachten und fällt selbst noch so manchen geschulten Lügenermittler schwer, wenn sie den Verdächtigen und seine charakteristischen Verhaltensweisen nicht kennen.

Orthello Fehler Mimikresonanz LügenerkennungDer Orthello-Fehler

Insofern Sie eine Abweichung der Baseline festgestellt haben, z.B. übermäßige Reaktionen oder verminderte nonverbale Beteiligung, ist es wichtig zu beachten, dass Sie zunächst nur einen Hinweis für eine Unstimmigkeit erhalten haben: Othello, Feldherr der Republik Venedig und Protagonist aus Shakespeares gleichnamigen Werk hat seiner Geliebten Desdemona unterstellt, sie würde Ihn mit seinem Vertrauten Cassio betrügen. Auf die vermeintliche Liebschaft angesprochen reagiert sie ängstlich und er glaubt ihren Beteuerungen nicht. Daraufhin erdrosselt er sie. Es stellte sich dabei letztendlich heraus, dass Desdemona keine Angst vor den Konsequenzen aufzeigte, sondern ängstlich war, weil Othello ihr nicht glauben könne. Mit diesem Wissen sah die Titelfigur einzig die Lösung im Suizid und erstach sich mit einem Dolch.

Ähnlich spektakulär werden die Konsequenzen im heutigen Alltag nicht aussehen. Das Fehlermuster ist indes das gleiche. Ein Beispiel: Sie sind Vertriebsleiter in einem Unternehmen und einer Ihrer Mitarbeiter war bei einem Kunden, der einen satten Auftrag verspricht. Auf die Frage „Wie der Termin gelaufen sei?“ antwortet Ihr Kollege mit „gut“ und zieht dabei beide Mundwinkel kurz seitlich nach unten. Diese subtile Expression ist ein Zeichen für Angst oder Besorgnis. Gründe dafür kann es viele geben. Naheliegend wäre natürlich, dass der Mitarbeiter den Chef an der Nase herumführt und Angst davor hat aufzufliegen. Andererseits kann es aber auch sein, dass der Termin wirklich gut gelaufen ist und Ihr Kollege ordentlich performt hat, er sich aber ungewiss ist, ob der Großauftrag zustande kommt. Am Schluss steht also: Emotionen kann man lesen lernen, dahinterstehende Gedankengänge nicht.

Das Lexikon der Lügenerkennung

Es ist nicht immer zielführend jede Lüge aufzudecken. Viel zu sehr hat sie sich als gesellschaftlicher Kitt etabliert, um Verlegenheiten zu vermeiden und Mitmenschen vor unangenehmen Dingen zu schützen. Wenn es allerdings auf die reine Wahrheit ankommt, gibt es verschiedene Möglichkeiten, Lügen zu erkennen. Ekman rät, zunächst auf das zu achten, was er als „Hot Spots“ bezeichnet: Unstimmigkeiten, die nicht zueinander passen. „Wenn die Stimme nicht zum Inhalt der Aussage passt oder der Gesichtsausdruck nicht zur Stimme“, sagt Ekman, „ist das ein Hot Spot.“ Etwa wenn ein Verdächtiger zwar lächelt, seine Stimme aber gepresst oder angespannt klingt.

Außerdem lohnt es sich einen Blick auf das zu werfen, was und wie der Verdächtige etwas formuliert. Wer lügt, neigt dazu,

  • Personalpronomen (ich, du) und Possessivpronomen (mein, dein) zu umgehen, weil man sich nicht festlegen will (das Wörtchen „man“ ist dagegen bei Schwindlern beliebt);
  • sich oft zu wiederholen und weniger zu reden, um sich nicht in Widersprüche zu verwickeln;
  • den Blickkontakt auffällig zu verstärken oder zu vermeiden;
  • weniger Handbewegungen (Illustratoren) zu zeigen, um seine Aussage zu unterstreichen;
  • die Körperhaltung abzuwenden und Bewegungen in Fluchtrichtung anzudeuten;
  • eine distanzierte Wortwahl zu verwenden („diese Frau“ statt des konkreten Namens).

Forscher haben darüber hinaus festgestellt, dass Schwindler beim Lügen oft größere Pupillen haben, nervöser wirken und die Lippen zusammenpressen. Dies geschieht allerdings auch, wenn Menschen nichts als die reine Wahrheit erzählen, was daran liegt, dass sie emotional in der Situation beteiligt sind. In solchen Zweifelsfällen ist es gut, wenn man die Mikroexpressionen im Gesicht des Gegenübers deuten kann. Die drei wichtigsten Gefühle, die sie verraten, sind Angst, Freude und Scham/Schuld. Wenn diese Emotionen plötzlich und ganz kurz auf dem Gesicht aufblitzen, bedeutet das etwas. Aber was genau?

Das zu beantworten erfordert Training und Routine. Sicher ist nur, dass Gefühle, die nicht lang anhaltend im Gesicht zu sehen sind, sondern nur als flüchtiger Mikroausdruck, vom Gegenüber unwillentlich auftreten oder geheim gehalten werden wollen. Manchmal existieren gute Gründe dafür. Andernfalls verbirgt sich dahinter aber auch ab und zu eine Lüge.

Fazit – Jetzt sind Sie an der Reihe

Robert Körner Campus Lügen erkennenWenn Sie darüber hinaus ihre Fähigkeit testen wollen Lügen zu erkennen, bietet sich die aktuelle Online-Studie der University of Chicago zum Thema Wahrheit und Lügen an. Hier werden zufällig Videoclips mit und ohne Ton sowie Audio-Files dargestellt, bei denen es zu entscheiden gilt, ob der Protagonist gelogen oder doch die Wahrheit kommuniziert hat.

Abschließend lässt sich feststellen, dass Lügen daran erkannt werden können, wenn Mikroexpressionen auftreten, die Baseline bekannt ist und „Hot Spots“ sich häufen. Je mehr dieser Indikatoren auftreten, desto wahrscheinlicher wird die Falschaussage. Alleinstehende universelle Merkmale existieren bis dato nicht.

Das Thema der Lügenerkennung interessiert Sie und Sie möchten mehr erfahren? Dann lohnt sich ein Blick auf das exklusive Mimikresonanz®-Verhandlungstraining für Führungskräfte und Manager (inkl. Lügen erkennen) bei Campus Körner. Damit bleibt Ihnen der Münzwurf zukünftig erspart.

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