Empathie-Training
Organisationsentwicklung
Konfliktmanagement
Im dritten Teil seiner Serie über Empathic Leadership beschreibt Erfolgsautor Al Weckert den Balanceakt zwischen Einfühlung und Führungsverantwortung
Empathic Leadership Teil 3 in Empathische Zeit 3/2016
Vor kurzer Zeit wanderte ein Artikel durch die sozialen Netzwerke, der vor den „Nachteilen des Mitgefühls” warnte. Die Argumentation folgt einer einfachen Logik: Wenn Sie den ganzen Tag zuhören, sind Sie abends müde. Wenn Sie sich als Frau um jeden kümmern, kommen Sie mit Ihrer Karriere nicht voran. Wenn Sie Ihr Fachwissen nicht nutzen, kommen Sie bei wichtigen Entscheidungen mit Gefühl auch nicht weiter. Fazit: „ Bei Empathie entscheidet die Dosis”. Aber mal ehrlich: Ist das nicht bei jeder Sache so? Genau aus diesem Grund trinken Sie nicht fünf Liter Wasser am Tag, sondern nur zwei. Sie sparen für die Rente, leisten sich aber auch einen schönen Sommerurlaub. Obwohl man anderen dann auch ein Bein stellen kann, bringen Sie Ihren Kindern trotzdem das Laufen bei. In deutschsprachigen Führungsetagen haben wir ganz sicher nicht das Problem von zu viel Empathie. Im Gegenteil: Wir stehen vor großen sozialen Veränderungen, die nur mit einer Steigerung der emotionalen Intelligenz zu bewältigen sind. Wo und wie empathische Kommunikation Führungskräften im Alltag weiterhilft, darum geht es im dritten Teil dieser Serie.
Gemessen am Leistungsdruck der Gegenwart und Zukunft gehört aktives Stressmanagement durch emotionale Selbstregulation und Resilienzfähigkeit zu den wichtigsten Themen der Führungskräfteentwicklung. Wer sich vor Selbstüberforderung und der Burnout-Falle schützen will, braucht ein hohes Maß an Selbstempathie und innerer Steuerungsfähigkeit. Das sind leider keine Selbstverständlichkeiten, diese Fähigkeiten brauchen intensives Training. Eine Kernübung ist die schriftliche Vorbereitung auf schwierige Gespräche: Um was geht es meinem Gegenüber? Wie fühlt er sich in dieser Lage und welche Bedürfnisse treiben ihn an? Mit welchen Strategien versucht er sein Ziel zu erreichen? Wie geht es mir dabei? Welche Emotionen lösen das Thema und die Art der Verhandlung bei mir aus? Welche wichtigen Bedürfnisse möchte ich im Gespräch absichern? Um was konkret werde ich den Gesprächspartner bitten? Gibt es einen Plan B oder C, falls Plan A nicht funktioniert? Wie nehme ich meinen Gesprächspartner bei der Suche nach einer guten Lösung in die Mitverantwortung?
Ebenso wichtig wie schriftliche Vorbereitung ist die Selbstempathie im Nachgang, falls der Vorfall Ärger auslöst. Konflikte die Kreise ziehen, kosten viel Energie. Sie belasten die Gesundheit, sie mindern die Arbeitszufriedenheit und die Leistung des Einzelnen und des Teams. Das Auflösen von Ärger gehört deshalb zu den Lieblingsthemen von Mitarbeitern und deren Vorgesetzen. Gleichzeitig ist die Bearbeitung von Ärger besonders herausfordernd, weil Ärger fast immer mit festgefahrenen (Vor)Urteilen verbunden ist. Das Opfer (ich, mein Team) ärgert sich über die Täter (die anderen). Sinnvoller als die Fahndung nach Schuldigen ist jedoch das Herausarbeiten der verletzten Bedürfnisse und die anschließende Suche nach Ideen und ersten konkreten Schritten, mit denen wir uns unsere Bedürfnisse erfüllen und den Ärger hinter uns lassen können. In Trainings verwenden wir dafür ein Schema mit Leitfragen, das (mit ein wenig Übung) die Bearbeitung von Ärger auch im Alleingang oder im Dialog mit einem Coach oder vertrauten Kollegen erleichtert. Mit dem Thema Ärger vermischt sich häufig das der Projektion. Stellen Sie sich bitte vor, Sie werden fünf Minuten vor Ende eines Meetings angegriffen, weil sich ein Mitarbeiter übergangen wähnt. Möglicherweise erleben Sie nun einen heftigen Adrenalinstoß, der mit Unsicherheit und Ärger verbunden ist. Warum hat sich der Mitarbeiter nicht eher gemeldet? Warum wird Ihre Leistung nicht gewürdigt, obwohl Sie sich um Allparteilichkeit und Aufmerksamkeit für die Teilnehmerbedürfnisse bemüht haben? Ärger und Ängste ergeben einen unangenehmen Emotionscocktail. Vielleicht erinnert Sie die Art des Teilnehmers an alte Erlebnisse, in denen Sie beschämt oder übergriffig behandelt wurden. Möglicherweise bemerken Sie aggressive Impulse in sich aufsteigen. Wenn Sie auch jetzt eine empathische Grundhaltung an den Tag legen wollen, dann müssen Sie die alten Geschichten von den aktuellen Geschehnissen trennen und Ihren Gegenüber fragen, was er a) jetzt ganz konkret von Ihnen braucht und b) ob er zukünftig bereit ist, sie zu einem Zeitpunkt anzusprechen, wo Sie zeitlich noch die Möglichkeit zum Umsteuern haben.
Anstatt Ihren alten Ärger als Projektion auszuleben, bieten Sie eine Konfliktklärung an und nehmen den Mitarbeiter in die Mitverantwortung. Auch der Mitarbeiter muss sich entscheiden, ob er seiner Projektion („der Vorgesetzte ist schuld”) weiter folgt oder seiner Neugier vertraut und abwartet, was sich im Gespräch mit dem um Dialog bemühten Vorgesetzen entwickelt. Obwohl diese Art der Gesprächsführung über einen längeren Zeitraum (Thema: Kulturveränderung) hohe Erfolgschancen verspricht, kann nicht jeder Konflikt im Konsens gelöst werden. Als Faustregel gilt: Während 70 Prozent aller Interessengegensätze durch einfaches bedürfnisorientiertes Verhandeln zufriedenstellend aufzulösen sind, bleiben 30 Prozent „harte Nüsse”. Von diesen „harten Nüssen” können wiederum 70 Prozent durch professionelles Konfliktmanagement und aufwendigere Dialoge geknackt werden. Zuletzt bleibt ein „harter Seifenkern” von Konflikten, die durch ein Machtwort von oben entschieden werden müssen. Doch auch bei Machtausübung spielt Empathie eine entscheidende Rolle für die Gestaltung der zukünftigen Beziehungen.
Empathie heißt weder „nett sein”, noch „Bitten erfüllen”. Empathie hat nichts mit Sympathie, Mitleid oder Gefühlsansteckung („emotional contagion”) zu tun. Viele Einwände gegen Empathie basieren auf Missverständnissen. Empathiefähigkeit ermöglicht uns, Bedürfnisse zu erfassen und das Geschehen um uns herum einzuordnen bzw. abzuwägen. Dabei geht es nicht nur um die Bedürfnisse des Mitarbeiters. Auch die eigenen Bedürfnisse und die des Unternehmens, der Stakeholder und der sonstigen Umwelt(en) spielen eine Rolle. Einer guten Entscheidung geht immer ein Empathieprozess voran. Trifft eine Führungskraft eine unpopuläre Entscheidung, werden dieser (im Optimalfall) weitere Empathieprozesse folgen. Ein „Nein” der Führungskraft wird vom Mitarbeiter als weniger kränkend empfunden, wenn er sich a) sicher ist, dass sein Anliegen bei der Führungskraft richtig angekommen ist und b) die Führungskraft ihr „Nein” nachvollziehbar begründet. Vielleicht kann die Führungskraft gemeinsam mit dem Mitarbeiter nach Alternativstrategien suchen, wie sich dessen Bedürfnisse erfüllen lassen. Solche Gespräche können die wechselseitige Akzeptanz und das Vertrauen im Team deutlich erhöhen.
Eine wesentliche Hilfe beim Klären von Konflikten sind Grundkenntnisse der professionellen Konfliktklärung – kurz: Mediation. Eine Mediation basiert auf fünf Schritten: (l) den sicheren Rahmen herstellen, (2) die Themen erfassen, (3) die Themen klären, (4) nach Lösungen suchen und (5) eine Vereinbarung treffen. Bei der internen Mediation hat die Führungskraft eine Doppelrolle. Während sie bei der Konfliktklärung allparteilich auftritt und sich inhaltlich heraushält, muss sie vor und nach der Mediation ihre Rolle als Entscheider gerecht werden. Sie kann ein Gespräch zwischen den Streitparteien einfordern und muss das Ergebnis anschließend bewerten. Was zunächst schwierig klingt, ist bei niedrigschwelligen Konflikten ein äußerst effizientes (weil Zeit und Konfliktkosten sparendes) Führungsinstrument. Der Rollenwechsel (von der Führungskraft zum Mediator und wieder zurück) erfordert jedoch Übung und Reflexion.
Noch anspruchsvoller ist die Konfliktklärung in großen Gruppen und Teams. Bei Change-Vorhaben und Reorganisation entladen sich in der Regel starke Emotionen, die Führungskräfte vor maximale Herausforderungen stellen. Einerseits müssen sie die Vorgaben der strategischen Planung erfüllen. Andererseits bedürfen sie dabei der Unterstützung durch das Team, auch wenn sich dort erheblicher Widerstand gegen die Veränderungen aufbaut. Die Führungskraft benötigt ihre Empathiefähigkeit dabei auf dreierlei Ebenen: a) Selbstempathie, wenn sie angegriffen wird, unsicher oder am Rande ihrer Kraft ist, b) Empathie für die Unternehmensbedürfnisse und die Anliegen der Entscheider, c) Empathie für die starken Emotionen und die dahinterliegenden Bedürfnisse der betroffenen Mitarbeiter. Bei den Verhandlungen mit den Betroffenen zahlen sich Kenntnisse der Team-Mediation und der Entscheidungsmoderation aus.
Die Arbeit mit großen Gruppen und Teammediation erfordert neben Grundkenntnissen des Aktiven Zuhörens und des bedürfnisorientierten Verhandelns ein spezielles Methodenrepertoire, um Meinungen effizient und präzise einzuholen. Wenn große Gruppen ihre Bedenken aussprechen und nach Lösungen suchen wollen, kann nicht mehr jeder in jeder Runde zu Wort kommen. Es wird in Kleingruppen, mit Kartenabfragen und Kreativtechniken gearbeitet. Arbeitsergebnisse müssen visualisiert und dokumentiert werden. Widerständen muss souverän begegnet werden. Souveränität bedeutet hier: Das „Gold in schmutziger Verpackung” wird von der Führungskraft mit Interesse und Geduld herausgearbeitet. Angriffe gegen die eigene Person dürfen möglichst nicht persönlich genommen, sondern müssen im Kontext der Verlustängste, der Traurigkeit, der Frustration und des Ärgers der Betroffenen bewertet werden. Empathie heißt allerdings auch hier nicht „sich alles bieten zu lassen”. Etwas richtig einordnen, einer Eskalation konstruktiv zu begegnen, heißt: Zuhören, verstehen, Vertrauen aufbauen, miteinander verhandeln. Möglicherweise ist am Ende eine Machtanwendung unvermeidbar. Doch alles, was im Vorfeld durch Verhandlung und begleitende Maßnahmen geklärt und einvernehmlich gelöst werden kann, ist von unbezahlbarem Wert für das Ergebnis und das weitere Miteinander.
Es ist faszinierend, wie genau sich Einsparpotentiale für Produktionsabläufe berechnen lassen. Manche Unternehmensberatungen versprechen Rationalisierungseffekte, die nur Bruchteile von Sekunden umfassen, aber in der Summe enorme unnötige Ausgaben vermeiden. Die Kosten von Konflikten kann jedoch kein Controlling der Welt beziffern. Selbiges gilt für die Zeit- und Ressourcenverschwendung durch ineffiziente Meetings. Was macht ein perfektes Meeting aus? Das hängt einerseits vom Ziel ab. Grundsätzlich gilt: Die Teilnehmer wollen, dass der Ressourceneinsatz in einem gesunden Verhältnis zum Ergebnis steht. Sie wünschen sich eine wertschätzende und gerechte Form der Moderation. Die Teilnehmer möchten die Ablaufstruktur verstehen und ihre Meinung einbringen können. Beschlüsse sind umso tragfähiger, je weniger Widerstand nach einem gründlichen Austausch vorhanden ist.
Gruppendynamik und Rollen
Gerade bei multiprofessionell, hierarchieübergreifend oder multikulturell zusammengesetzten Teams ist die Empathiefähigkeit des Moderators allesentscheidend. Er muss Gesichter lesen können (wer hat eine Frage, wer ist dabei oder innerlich abwesend, wer ärgert oder freut sich), es muss gegenseitige Schuldzuweisungen in die dahinterliegenden Anliegen übersetzen und Störmanöver gegen bereits gefasste Beschlüsse abblocken können. Interessanter Weise erfordert das Abfragen von Einwänden die gleiche Menge Empathie wie deren Unterbindung. Zum Zeitpunkt A waren Einwände für die Gruppe hilfreich für das Verständnis, zum Zeitpunkt B kontraproduktiv für deren Weiterentwicklung. Verständnis und Entwicklung sind beides Grundbedürfnisse. Beim Umgang mit Gruppeneskalation ist Grundlagenwissen zum Thema Gruppendynamik nützlich. Oft geht es darum, die Motivation hinter „Rollen” zu verstehen. Ein unbeliebter „Nörgler” ist oft der härteste Prüfstein auf dem Weg zu Exzellenz. Ein „Clown” drückt nicht selten den Gruppenwunsch nach Leichtigkeit und Kreativität aus. Das „Alpha-Männchen” kann entweder stören oder der Gruppe dabei helfen, ins Tun zu kommen. Genau wie das Phänomen des Mitgefühls hat jede Teamrolle ihre Stärken und ihren richtigen Platz. Die Führungskraft hat die Aufgabe, den Selbstfindungsprozess der Gruppe wirksam zu begleiten.
Der eingangs zitierte Artikel behauptet u. a„ dass empathische Therapeuten die schlechteren Therapeuten seien, da Empathie oft ins Mitleid kippe. Wer das Buch „The Heart and Soul of Change” von Barry Duncan und die darin enthaltenen Studien gelesen hat, weiß, dass das Gegenteil der Fall ist. Empathie in der „richtigen Dosis” macht Therapeuten sofort und messbar erfolgreicher. Aber was haben Therapeuten mit Führungskräften gemeinsam? Fast nichts, bis auf eine Sache: Beide Berufsgruppen übernehmen Verantwortung bei der Arbeit an Veränderung (zum Beispiel bei Change, Wiedereingliederung oder Projektsteuerung). Barry Duncan zeigt, dass weder die Ausbildung, die Weiterbildung noch die Berufserfahrung den höchsten Einfluss auf die Arbeitsergebnisse und den Erfolg von Therapeuten haben. Die besten Ergebnisse liefern diejenigen Therapeuten, die sich nach jeder Sitzung vom Patienten ein Feedback holen. Wirkt die Therapie? Kommt der Patient mit der Therapie zurecht? Übertragen auf den Führungskontext heißt das: Was funktioniert? Was kann der Mitarbeiter leisten? Woran scheitert er? Welche Alternativwege kommen in Frage? Feedbackschleifen am Ende eines Jour Fixe, einer Projektgruppensitzung oder eines Mitarbeitergesprächs erzeugen Verbindung, Sicherheit und Entwicklung – die drei Bedürfnisse, die nach Meinung von Neurowissenschaftlern die Hauptbedeutung für das Gelingen und den Erfolg menschlichen Zusammenlebens haben.
(c) Al Weckert
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