Empathie-Training
Organisationsentwicklung
Konfliktmanagement
Film ab!
Als Trainer vor der Leinwand: Was lernen wir zu Liebe, Leidenschaft und Begeisterungsfähigkeit?
Kommunikation & Seminar 6/2013, S. 50-51
Von Al Weckert
Männer lieben Listen! Meine Frau Sandra lacht sich kaputt, wenn ich meine Kofferpackliste ausdrucke. Meine Freundin Jaqueline hebt die Augenbrauen, wenn ich mit ihrem neunjährigen Sohn Listen der besten Fußballspieler tausche. Und es waren zwei Männer, die die Excel-Tabelle erfunden haben: Dan Bricklin und Bob Frankston programmierten 1978 die erste computertaugliche Tabellenkalkulation. Was hat all das mit Filmen, Büchern und meiner Arbeit als Kommunikationstrainer zu tun?
Als männlicher Filmliebhaber führe ich Listen über meine Lieblingsfilme: die zehn besten Komödien, die zehn fesselndsten Politthriller, die zehn wichtigsten deutschen Filme … Fragen Sie mich, ich antworte. Mein Tag beginnt mit einem Ritual. Ich schlage die Zeitung auf und kreise die Spielfilme im Fernsehprogramm mit einem Stift ein. Dann schnappe ich mir meine amerikanische Filmbibel: den Videohound’s Golden Movie Retriever”. 30.000 Filmkritiken auf über 2000 Seiten. Mit einem Register für Titel, Regisseure, Schauspieler, Kameraleute und Komponisten. Eingekreiste Filme schlage ich nach, um deren Bewertung zu prüfen. Bei Filmen mit Höchstwertung programmiere ich den Harddisk-Recorder. Filme gucken hat also mehr mit Lesen zu tun, als man zunächst erwartet.
Zehn Beispielfilme, für die der „Videohound” die absolute Höchstwertung vergibt und die auch in meinen eigenen Listen an der Spitze stehen: „Die Marx-Brothers im Krieg”, „Lawrence von Arabien”, „Cyrano von Bergerac”, „Berüchtigt”, „Tootsie”, „Manche mögen’s heiß”, „Mein linker Fuß”, „Wer hat Angst vor Virginia Wolf’, „Die Truman Show” und „Chinatown”. Von diesen Filmen kann man alles lernen, was man über Kommunikation wissen muss: Gefühle zeigen, einfühlsam zuhören, Dinge auf den Punkt bringen, Körpersprache einsetzen, eine Pointe abliefern und dabei gut unterhalten.
In meinen Vorträgen lasse ich Friedrich Glasls Theorie der „Neun Eskalationsstufen eines Konflikts” mithilfe des Films „Der Rosenkrieg” im Kopf der Zuhörer lebendig werden. Bilder prägen sich ein. Ihr Einsatz hilft Trainern, Beratern, Seminarbesuchern und Klienten das menschliche Miteinander zu reflektieren und Erkenntnisse tiefer zu verankern. In dieser Kolumne empfehle ich deshalb zehn spezielle Werke, die mich bei meiner persönlichen und beruflichen Entwicklung inspiriert haben.
Der Film „Dersu Uzala” (1975, Regie: Akira Kurosawa) schildert die Begegnung eines Waldläufers mit einem russischen Ingenieur auf einer Expedition in die entferntesten Ausläufer Russlands. Wie in Zeitlupe entwickelt sich die Verbindung dieser völlig gegensätzlichen Männer. Selten wurde der Riss zwischen Zivilisation und Natur bildgewaltiger und poetischer in Szene gesetzt.
Michael Mann ist einer der großartigsten Regisseure der Gegenwart. Auf sein Konto gehen Geniestreiche wie „Heat” oder „Collateral”. Besonders beachtenswert ist der Film „Insider” (1999), der den Kampf eines investigativen Journalisten und eines Managementaussteigers gegen die Lügen der Zigarettenindustrie zeigt. Michael Mann zieht alle Register der Bildsprache, als Kronzeuge Russell Crowe einem depressiven Wahn verfällt, bei dem sich die Wände in Bewegung setzen.
Kennen Sie den Fernsehmoderator, der sein Publikum aufforderte, das Fenster zu öffnen und hinauszuschreien: „Ihr könnt mich alle am Arsch lecken. Ich lasse mir das nicht mehr länger gefallen”? Geben Sie dieses Zitat bei Youtube ein und Sie erhalten einen Ausschnitt aus dem Film „Network” von Sidney Lumet (1976). Der Film erzählt die Story eines Moderators, der wegen sinkender Einschaltquoten entlassen werden soll und sich mit einer Brandrede vom Publikum verabschiedet. Die Resonanz auf die Rede ist so stark, dass er von einer skrupellosen TV-Managerin zum zornigen „Fernseh-Propheten” aufgebaut wird, in dessen Rolle er völlig ausflippen darf. Sidney Lumet wusste: Der Kampf um die Quote entmenschlicht die Beteiligten, er zerstört Freundschaften und Liebe.
Fünf Mal bin ich mit meinen Kindern ins Kino gegangen, um den Pixar-Film „Ratatouille” (2007) zu gucken. Besser ist der tiefere Sinn von Schmecken und Kochen nie erklärt worden. Eine Liebeserklärung an Lebensmittel und eine Ode auf die Achtsamkeit. Aus Hollywood. Geht doch!
Gleiches gilt für das Singen und Lernen. In dem Überraschungserfolg von 2004 „Wie im Himmel” führt Hauptdarsteller Mikael Nyqvist einen Laienchor zu musikalischer Höchstleistung, als er die Beteiligten durch Körperarbeit zu völlig neuen Selbsterfahrungen motiviert. Die Kritik fand das Werk sentimental und durchsichtig. Ich hingegen halte die Arbeitsweise des Dirigenten für richtungsweisend. Ebenso, wie die des Chorleiters Bob Cilman, der in der Dokumentation „Young@Heart” (2008, Regie: Stephen Walker) einen Senioren-Chor zeitgenössische Rockmusik interpretieren lässt. Jedes Mal, wenn der 81 Jahre alte Amateursänger Fred Knittle mit einem Atemgerät in der Hand „Fix You” von Coldplay singt („When you lose something you can’t replace … “), beginne ich zu weinen. Leben und Tod lagen in der Musik nie so nahe beieinander. Diese Chorleiter reißen die Beteiligten aus den Sitzen und lassen sie zu sich kommen.
Charlie Chaplin, die Marx Brothers und Dick und Doof besitze ich komplett. Mein komödiantischer Lieblingsstar ist jedoch Jacques Tati als Monsieur Hulot. Die Filme dieses gertenschlanken französischen Antihelden sind einer besser als der andere. Das geeignetste Einstiegswerk ist „Mein Onkel” aus dem Jahr 1958. Tati bringt als freundlicher, aber schusseliger Onkel das Leben seines Neffen Gerard durcheinander und verunstaltet dabei unbeabsichtigt die Hightech-Villa seines reichen Schwagers. Der Film gießt kübelweise Spott über die Marotten der Großbourgeoisie.
Wie das Feuilleton berichtet, erobert aktuell ein neuer Typ Fernsehserie den Filmmarkt. Zwei Serien haben mich süchtig gemacht: „Lie to me” und „Borgen”. „Lie to me” (2009) zeigt die Arbeit zweier Psychologen, die durch das Beobachten der Mimik und Körpersprache von Verdächtigen Kriminalfälle aufklären. Die Serie wurde von Paul Ekman, einem der renommiertesten Emotionsforscher, beraten. Staffel 1 ist bestes Schulungsmaterial für Kommunikationstrainer und Mediatoren. „Borgen” (2010) erzählt die Geschichte der Politikerin Brigitte Nyborg, die unerwartet zur ersten Premierministerin Dänemarks gewählt wird. Selten sah ich ein so stimmig gezeichnetes Porträt der Machtspiele und Intrigen, die den modernen Politikapparat prägen. Politiker, Medienberater, Medien und Lobbyisten kämpfen mit allen Mitteln um Informationen und deren Deutungshoheit.
Zuletzt möchte ich mich vor Alfred Hitchcock verneigen, der so viele Meisterwerke wie kaum ein anderer Regisseur zu schaffen vermochte. Mein Favorit ist „Der unsichtbare Dritte” (Originaltitel „North by Northwest”) aus dem Jahr 1959. Jeder erinnert sich an die Szene, in der Cary Grant in einem Maisfeld von einem Flugzeug angegriffen wird. Höhepunkt des Filmes ist jedoch eine der schönsten Flirtszenen der Filmgeschichte. Grant, der ohne eigenes Zutun in einen Spionageskandal verwickelt wird, begegnet im Zug der unwiderstehlichen Eva Marie Saint. Sie rettet ihn vor der CIA, um ihn dem russischen Geheimdienst auszuliefern. Die vorgetäuschte Romanze im Speisewagen schlägt jedoch in echte gegenseitige Zuneigung um. François Truffaut hat diesen Film als „die Summe aller filmischen Erfahrungen” bezeichnet. Denn genau so, wie der Flirt zwischen Grant und Saint, muss ein guter Auftritt vor jeder Art von Publikum sein: mitreißend, emotional, unvergesslich!
(c) Al Weckert
(c) Foto Grant/Saint: Warner Home Video
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