“Weckert liest”: Wie Psychologie, Neurobiologie und Gewaltfreie Kommunikation den Nutzen von Gefühlen neu beschreiben.
von: Al Weckert
in: Kommunikation & Seminar, Oktober 2011, S. 42-43
Vor einiger Zeit hatte meine Schwester und Trainerkollegin Monika Oboth mir eine Methode vorgestellt, mit der man blitzschnell in eine tiefe Verbindung zu Menschen kommt, die starke Gefühlsäußerungen zeigen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Betroffenen wütend oder niedergeschlagen sind: Der „Tanz auf dem Vulkan”, so nennen wir die Methode, funktioniert bei allen starken Gefühlen. Nachdem ich die Methode circa hundert Mal in schwierigen Situationen mit meinen Kindern ausprobiert hatte, präsentierte ich sie bei einem Workshop an einer Universität 20 ausgebildeten Mediatoren.
Beim „Tanz auf dem Vulkan” geht es darum, spontan, aber nach gewissen Grundregeln, Gefühle und Bedürfnisse zu benennen, die wir aus den Äußerungen unseres Gegenübers heraushören. Bei diesen Äußerungen handelt es sich häufig um Anklagen, Bewertungen, Schuldzuweisungen sowie indirekte Gefühlsäußerungen, wie eine wegwerfende Handbewegung. Der Erfolg war durchschlagend, das Abschlussfeedback äußerst ermutigend.
In den folgenden Tagen begleiteten mich zwei Fragen: 1. Warum funktioniert diese Methode so gut? 2. Welche Voraussetzungen sind nötig, um diese Methode erfolgreich anwenden zu können? Es ging mir wie einem Konstrukteur, der einen genialen Dreh erlebt hat, ohne die physikalischen Grundlagen zu kennen. Ich begann, systematisch die Themen Gewaltfreie Kommunikation, Neurobiologie und Körpersprache für die Übungen mit der neuen Methode zu verbinden. Denn längst hatte ich den Entschluss gefasst, ein Buch über den Umgang mit starken Gefühlen zu schreiben.
Den Ausgangspunkt für meine Buch-Recherche bildeten Beobachtungen an mir selbst. Ich spüre zum Beispiel eine situativ unterschiedliche Bereitschaft, empathisch auf andere zuzugehen. Auch bei meinem Gegenüber spüre ich je nach Grad und Art der Erregung mehr oder weniger starke Bremsen, sich auf meine Empathie einzulassen. Kann man innere Bewertungsprogramme wirklich abschalten, wie manche behaupten? Kann man „total” offen werden?
Paul Ekman: Gefühle lesen
Die Antwort liefert das Buch „Gefühle lesen” von Paul Ekman. Er beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Erkennen von Mikroausdrücken in Gesichtern und in der Körpersprache von Menschen. Ekman belegt, dass sämtliche Erfahrungen, die wir als Mensch machen, unauslöschlich in unserem Gehirn als Handlungsprogramme abgespeichert werden. Diese Programme lassen sich nicht ausradieren. Doch wir können die Zeitspanne verkürzen, bis wir die Reaktionen bewusst kontrollieren und steuern. Die Zeit zwischen Auslöser und Bewusstsein bezeichnet Ekman als Refraktärzustand. Sein Buch beschreibt, was sich in dieser Zeit in unseren Gesichtern und Körpern abspielt, ohne dass wir es willentlich steuern können.
In meiner Berliner Übungsgruppe probierte ich aus, ob meine Schlussfolgerungen von anderen verstanden werden und die Übungen den Teilnehmern wirklich etwas bringen. Einer unter ihnen, ausgestattet mit allen möglichen Zertifikaten für Mediation, Supervision und Coaching, stand vor einem Rollenspieler und versuchte sich in dessen Wut einzufühlen. Mit verschränkten Armen und nachdenklich zurückgelehnt, suchte er nach passenden Worten. Zwischen beiden stand eine unsichtbare Grenze. Anstatt sich zu entspannen, steigerte sich sein Gegenüber immer mehr in die Wut. Ich unterbrach die Sequenz, stellte mich neben den Teilnehmer, ballte die Fäuste, legte die Stirn kurz in Falten und fragte den Rollenspieler: „Sie sind stinkwütend, weil Sie mit Ihrem Anliegen gehört werden wollen? Ist es das?” Augenblicklich fielen Stress und Wut vom Gegenüber ab. Das Spiegeln seiner Wut hatte dem Mann geholfen, seinen Refraktärzustand zu verkürzen.
Joachim Bauer: Warum ich fühle, was du fühlst
In diesem Augenblick hat sich den zuschauenden Teilnehmern, mir und dem Rollenspieler eine bedeutsame Erkenntnis offenbart. Indem wir den Effekt von Empathie körperlich erleben, verankern wir ein neues Handlungsprogramm in uns. Und das Buch „Warum ich fühle, was du fühlst” von Joachim Bauer (Heyne) erklärt, warum das Fühlen, das Aussprechen und das Spiegeln der Gefühle anderer unschlagbar sind beim Herstellen von Verbindung.
Wie lässt sich das Spiegeln wirkungsvoll trainieren? In meiner Trainingsgruppe ermutige ich Teilnehmer, ihrem Gegenüber sowohl körperlich wie auch verbal zu zeigen, was für eine Botschaft bei ihnen angekommen ist. Jede Trainingseinheit startet mit einem Lernspiel, Gefühle werden zum Beispiel pantomimisch dargestellt, Bedürfnisse in wilde Geschichten verpackt.
Gerald Hüther: Ohne Gefühl geht gar nichts!
Der Gehirnforscher Gerald Hüther rät in seinem Vortrag „Ohne Gefühl geht gar nichts!” (Auditorium Netzwerk) beim Lernen in erster Linie Begeisterung zu wecken. Jede neue Trainingseinheit macht diesen Effekt für mich erlebbar. Durch den Einsatz aller Sinne entsteht unter den Teilnehmern eine besondere Dynamik des Miteinanders und der persönlichen Entwicklung. Hüther bezeichnet die Erfüllung der Bedürfnisse „Verbindung” und „Entwicklung” als besonders wichtig für den Lernprozess.
Albert Ellis: Training der Gefühle
Bei den Autoren Ekman, Bauer und Hüther gefallen mir die gute Verständlichkeit, der persönliche Stil und das große Engagement, das sich beim Lesen auf mich überträgt. Das Sendungsbewusstsein von Albert Ellis finde ich dagegen schon beinahe grenzwertig. Sein Buch „Training der Gefühle” (mvg Verlag) habe ich nur zu Ende gelesen, weil es von bekannten GFK-Trainern und Psychologen empfohlen wird. Ellis behauptet, dass die meisten gängigen Neurosen von der Vorstellung erzeugt werden, dass wir daran glauben, irgend etwas zu müssen. Er nennt es „Mussturbieren”, was sich als Begriff nun wahrhaft einprägt. Ich quäle mich zum Beispiel mit den Vorstellungen, dass mein neues Buch möglichst schnell in den Handel kommen SOLL und Sie als Leser glänzend unterhalten MUSS. Richtig gefährlich würde es, wenn ich darüber hinaus glauben würde, dass ich sonst kein guter Autor und als Mensch ein Nichts wäre. Unterbewusst entstehen solche inneren Szenarien schneller als gewünscht. Sie sind die Keimzelle starker unangenehmer Gefühle, die sich – zumindest zeitweilig – unkontrolliert auf unsere Umgebung übertragen. Einfühlung umfasst das Bewusstsein, dass in uns und unserer Umgebung oft großer innerer Druck präsent ist. Der Begriff „Mussturbieren” dient gut als Erinnerungsstütze, um in schwierigen Situationen ergebnisoffen und flexibel zu agieren.
Cornelia Dehner-Rau und Luise Reddemann: Gefühle besser verstehen
Das Anti-Ärger-Programm von Albert Ellis wird auch in dem Buch „Gefühle besser verstehen” (Trias Verlag) der Psychotherapeutinnen Cornelia Dehner-Rau und Luise Reddemann empfohlen. Die beiden Autorinnen fassen den aktuellen Stand der Wissenschaft zusammen und liefern eine Menge brauchbarer Definitionen aus dem gesamten Forschungsgebiet der Gefühle. Im Unterschied zu ihren männlichen Kollegen listen sie unter Gefühlswahrnehmungen auch Erlebnisse auf wie gemeinsames Singen im Chor, gegenseitiges Rückenkraulen und den Geruch von frisch gebackenem Kuchen.
Karin Neumann: Glücksnahrung
Apropos Kuchen: Karin Neumann widmet sich in ihrem Buch „Glücksnahrung” (Ueberreuter Verlag) dem Einfluss von Nahrung auf unsere Stimmung. Mir als Buchautor und Trainer hat „Glücksnahrung” einige wichtige Erkenntnisse über das Timing der Nahrungsaufnahme zwischen den Seiten und Kapiteln sowie das Catering in meinen Seminaren geliefert. Die Chemie in unseren Köpfen wird nämlich nicht nur von Gedanken und Gefühlen, sondern auch von Nahrungsmitteln beeinflusst.
Literatur zum Thema Gefühle + Emotionen
- Joachim Bauer (2005): Warum ich fühle, was du fühlst. Heyne, München
- Cornelia Dehner-Rau, Luise Reddemann (2011): Gefühle besser verstehen. Trias, Stuttgart
- Paul Ekman (2003): Gefühle lesen. Spektrum, Heidelberg
- Albert Ellis (1988): Training der Gefühle. mvg Verlag, München
- Gerald Hüther (2009): Ohne Gefühl geht gar nichts! Auditorium Netzwerk, Müllheim/Baden
- Karin Neumann (2010): Glücksnahrung. Ueberreuter, Wien
(c) Al Weckert