Empathie-Training
Organisationsentwicklung
Konfliktmanagement
Titel: Tanz auf dem Vulkan – Intensivtraining für den Umgang mit starken Gefühlen
Autor: Al Weckert und Monika Oboth
in: Spektrum der Mediation 37/2010 Fachzeitschrift des Bundesverbandes Mediation
Konflikte erzeugen starke Gefühle, die oft wie Vulkanexplosionen eskalieren. Diese Energien bieten die Chance, in echten Kontakt mit den Mediandlnnen zu kommen. Wertschätzendes, allparteiliches und nichtbewertendes Zuhören bewirkt dabei, dass sich der »Vulkan« leeren kann und die »Lava« ihre bedrohliche Wirkung verliert. Mit Hilfe des »Rote-Tuch« – Symbols lernen die Teilnehmenden, starke Gefühle sicher und entspannt aufzunehmen und sie als förderliche Impulse für den Konfliktklärungsprozess zu nutzen.
Welchen Beitrag kann Gewaltfreie Kommunikation (GFK} für den Umgang mit starken Gefühlen bei Konfliktklärungen leisten? Das Kommunikationsmodell Marshall Rosenbergs wird sehr unterschiedlich verstanden. Im Business Mediation Center beschäftigen wir uns intensiv mit den »kantigeren« Seiten der GFK, z. B. mit den Themen Wut, Grenzsetzung, Nein-Sagen und beschützender Anwendung von Macht. Wir legen nicht mehr so viel Wert auf eine vermeintlich »richtige Formulierungsweise« der vier Schritte der GFK, sondern auf die 80% unbewusste Kommunikation. Diese gelingt vor allem durch die eigene innere Haltung und daraus resultierende Körpersprache – alles Botschaften, die eben nicht sprachlich zwischen Menschen hin und hergehen. Es geht um die natürliche Übereinstimmung von Haltung, Körper und Sprache, eben um einen echten Kontakt. Seit 15 Jahren erleben wir in der Mediation von Gruppen und Teams, wie uns vor allem die Haltung der GFK dabei unterstützt, Ärger, Wut, Enttäuschung und Aggression »willkommen zu heißen«. Sie vermittelt uns auch die Sicherheit und das konkrete Handwerkszeug, Angst auslösende Gefühlsausbrüche aufzunehmen und die dahinter liegenden Anliegen wertzuschätzen, ohne ungebetene Ratschläge zu erteilen, das Gesagte zu bewerten oder uns auf andere Weise mit den Konfliktparteien »zu verstricken«.
Statt die Streitparteien direkt in »ruhigeres und sachlicheres« Fahrwasser zu lotsen, ermutigen wir sie, die »Lava« herauszulassen. In unserem lntensivtraining breiten wir ein »Rotes Tuch« auf dem Fußboden aus, dann stellen sich immer zwei Personen gegenüber. Person 1 spielt die Streitpartei, die im Konflikt »explodiert«. Sie stellt sich symbolisch auf das ca. ein Meter lange »Rote Tuch«. Die gegenüber stehende 2. Person geht in die Rolle der/des zuhörenden Konfliktklärers/in bzw. Mediators/ in. Die zuhörende Person nimmt die Botschaft (Schuldzuweisung, Vorwurf, Anklage) aktiv auf, lässt nichts weg und verharmlost nicht. Sie spiegelt das Gesagte mit ihren Formulierungen, zeigt aber auch mit Körpersprache, Bewegung, Mimik und Nachdruck, dass sie wirklich verstanden hat, welche Wucht und Not hinter der »Lava« ist. Sie wertschätzt die ungeheure Lebensenergie, die hinter Wut und Eskalation, ja selbst in Sarkasmus, Bitterkeit und Beschimpfungen verborgen liegt. Paradoxerweise bewirkt gerade dieses Willkommen heißen der »Lava«, dass die Beteiligten die Situation zunehmend weniger bedrohlich empfinden. Die Aufgabe der Streitpartei ist es, jedes Mal, wenn sie sich verstanden und gewertschätzt erlebt, ein kleines Stückchen vom »Roten Tuch« herunter zu treten. Sie zeigt damit symbolisch, wie weit ihre »Lava« aus dem »Konfliktvulkan« geflossen ist.
Gerade im Rahmen einer Mediation betrachten wir Angriffe nicht als Störungen. Aggressionen und laute gegenseitige Schuldzuweisungen stellen in der Mediation sozusagen »Goldbarren in hässlicher Verpackung« dar, die einen wesentlichen Beitrag zur Konflikterhellung und zur Konfliktlösung leisten können. Sie werden auf einem »unsichtbaren Laufband« unablässig geliefert. Es ist Aufgabe des Mediationsteams, dieses Gold vom Band zu nehmen und wertzuschätzen. Anschließend kann es mit Hilfe der Konfliktparteien ausgepackt werden. Herr Schneider schreit: »Hier im Team gucken ja alle nur aus dem Fenster statt zu arbeiten!« Die »hässliche Verpackung« zeigt sich hier als schuldzuweisender Vorwurf; das »Gold« sind die Gefühle hinter dem Vorwurf z. B. Wut und Resignation und die unerfüllten Bedürfnisse darunter z.B. Unterstützung und Gleichbehandlung. Um starke Gefühle und Not leidende Bedürfnisse im richtigen Moment anzusprechen, braucht das Mediationsteam intensives Training. Die Übungen mit dem »Roten Tuch« verfolgen das Ziel, Mediatorlnnen auch für die nicht planbare, prozesshafte Eskalationsphase (innerhalb der Darstellung und Erhellung des Konflikts) fit zu machen.
Für die Arbeit in unseren lntensivtrainings stellen wir zunächst häufig gehörte Sätze aus Mediationskontexten zur Verfügung. Die Sätze werden von der Person, die auf dem »Roten Tuch« steht, mit starker Körpersprache (Schreien, Fuchteln, nach vorne beugen) ausgedrückt. Diese Person denkt sich zu jedem Satz einen Zusammenhang aus, damit sie den Andeutungen immer wieder etwas hinzufügen kann. Anfangssätze für die Übung können zum Beispiel lauten:
Das Übungsverfahren folgt dem Sehe- leicht erst Schmerz, dann Wut, bis sich ma: Person 1 spricht eine Klage oder einen Vorwurf aus, Person 2 hört aktiv zu und spiegelt wider, was sie wahrnimmt und versteht. Entscheidend für den Erfolg dieser Übung ist, dass die zuhörende Person die Gefühle der sprechenden Person auf dem Erregungslevel spiegelt, auf dem sich die Person wirklich befindet. Zu einer Person, die schreit und mit den Augen rollt, kommt man unmöglich mit verschränkten Armen und einem gemurmelten Satz in Kontakt wie: »Sie fühlen sich unwohl und würden gerne ein Stück weit gewertschätzt werden?« Im Gegenteil: Die hauptsächliche Wahrnehmung im Konflikt läuft über Körpersprache und Stimme! Weil bei der Übung mit dem »Roten Tuch« Person alle Übenden stehen statt sitzen, können die Teilnehmenden beweglich ausprobieren, wie erleichternd es auf hochgradig erregte Menschen wirkt, wenn man ihre Gefühle mit angemessener Geste und Stimme spiegelt. Nach einer Übung hören wir in Feedbackrunden immer wieder, dass die aufgeregte Streitpartei (Person 1) in ihrer Erregung die einzelnen Sätze des Mediators oder der Mediatorin gar nicht wörtlich hören konnte, sondern »gefühlt« hat, dass die zuhörende Person »irgendwie verstanden« hat.
Der/die Mediator/in geht mit Verzicht auf zusätzliche Sachfragen(!) zunächst auf die Gefühle ein, z. B. mit heftiger Armgeste : »Sie sind richtig sauer! Ist das so?« Möglicherweise wird die Mediatorin sofort korrigiert: »Nein, nicht sauer, sondern resigniert« Oder die Streitpartei antwortet: »DAS kann man wohl LAUT sagen!!!« Der/die zuhörende Mediator/in drastifiziert dann: »Sie sind wirklich wütend! … « mit fragender Geste und folgt den weiter wahr genommenen »Lavaschüben «, bis ihr Person 1 mit dem stückweisen Heruntergehen vom roten Lavatuch deutlich zu erkennen gibt, dass sie sich jetzt vollständig gehört erlebt. Der Verständigungsprozess kann über diverse Umwege führen und eine ganze Weile dauern. Auf Resignation folgt vielleicht erst Schmerz, dann Wut, bis sich zuletzt Kraft entfaltet. Korrekturen von Seiten der Streitpartei sind ausdrücklich erwünscht: z. B. (Konfliktpartei erregt 🙂 »Mir geht’s nicht um Wertschätzung, sondern um OFFENHEIT!!« Die zuhörende Person folgt mit lebendiger Präsenz den Pfaden der sprechenden Konfliktpartei. Je konsequenter sie auf Bewertungen und Lösungsvorschläge verzichtet, desto gründlicher erarbeitet sie das Ergebnis. Verstehen heißt nicht, einverstanden sein! Diese Erkenntnis erleichtert es ihr, Empathie zu spenden, wenn sie inhaltlich anderer Meinung ist als die Streitpartei.
Häufig wird eingewendet, dass Gefühle in Managementkontexten nichts zu suchen haben. Dieser Einwand widerspricht nicht nur Erkenntnissen der modernen Gehirnforschung, sondern vor allem den Erfahrungen aus der Mediationspraxis in höheren Unternehmensetagen: Auch hier äußern Konfliktparteien heftige Angriffe und Schuldzuweisungen und heben oder senken dabei deutlich die Stimme. Auch hier hilft es, Gefühle zu benennen, um den Vulkan zu leeren und letztlich über das Herausarbeiten der Anliegen zu sachlichen Lösungen zu kommen. Darüber hinaus betonen Führungskräfte, dass der Umgang mit starken Gefühlen zu den schwierigsten Aufgaben ihres Arbeitsalltags gehöre. Mit großer Aufmerksamkeit und vollem Engagement widmen sie sich den Übungen mit dem »Roten Tuch«, die sich mit realen Situationen aus ihrem eigenen Berufsalltag beschäftigen. Weil in Rollenspielen bei der zuhörenden Person viele innere Fragen aufgewühlt werden, erhalten diese von der spielenden Streitpartei auf Wunsch ein sofortiges Feedback. Das Trainerteam sichert den »geschützten Rahmen« für diese Rückmeldungen, insbesondere, wenn bei den Rollenspielerinnen unangenehme Erinnerungen hochkommen oder Unsicherheit über die eigene Führungsstärke ausbricht.
Das Erfassen und Verstehen von Gefühlen und darunter liegenden unerfüllten Bedürfnissen ist der Wendepunkt innerhalb einer Mediation sowie bei Konfliktklärungen in beruflichen und privaten Umfeldern. Wenn die Streitpartei ihre »Ärgerlava« heraus lassen konnte und Wertschätzung für ihre Person selbst während »hässlicher« Formulierungen erlebt, äußert sie erfahrungsgemäß automatisch – direkt oder indirekt – aktuell unerfüllte Bedürfnisse z. B. »Es hätte ja auch jemand mal erwähnen können, was ich an Zeit und Kraft investiert habe!« (Bedürfnis nach Anerkennung/ Wertschätzung/ Gesehen werden)« oder: »Ich brauche endlich Ruhe beim Arbeiten«.
Oft heißt es, hinter negativen »nicht«-, »niemand«, »nie«- und »kein«-Formulierungen der Konfliktpartei das aktuell unerfüllte Bedürfnis zu erahnen und als Satz anzubieten. Streitpartei: »Ich schaff’ die Mehrarbeit einfach nicht mehr!« Mediatorin: »Ihnen geht’s um Entlastung? … Unterstützung?« Streitpartei korrigiert (nimmt den Bedürfnisfaden gleichzeitig auf): »Nein, nicht Unterstützung, sondern Gleichbehandlung! Einfach eine gerechte Verteilung im Team!« Auf dem »Roten Tuch« lässt sich das schnelle Erfassen und Benennen von Bedürfnissen hinter Klagen und Vorwürfen wirkungsvoll trainieren.
Gelegentlich erleben Mediatorlnnen bei der Konfliktklärung, dass Teilnehmende Widerstände gegen sie oder ihre Methoden äußern. Diese Einwände werden mal mehr, mal weniger diplomatisch geäußert:
Das produktive Aufnehmen solcher Widerstände lässt sich mit dem »Roten Tuch« wunderbar üben. Die Teilnehmenden können sich das Spielen ihrer persönlichen Horrorszenarien (sehr beliebt z.B.: »Sie mediieren völlig unprofessionell! «) wünschen und werden bei der Entwicklung zu Souveränität und Entspannung begleitet.
Das größte Missverständnis in Bezug auf Gewaltfreie Kommunikation ist aus unserer Sicht die Annahme, dass Empathie für den »Vulkan« des anderen in jeder Situation Priorität besäße. Wir haben heftige Erfahrungen damit gemacht, wenn wir in übergriffigen Situationen gegen uns selbst weiter Fremdempathie leisteten, wo wir eigentlich all unsere derzeitige Energie zu unserem eigenen Schutz benötigten. Nach dem Motto: Ich liege am Boden, werde »blutig getreten« und versuche auch noch in dieser Situation der anderen Person Empathie zu geben, statt für meine Grundbedürfnisse zu sorgen und mich in Sicherheit zu bringen! Wir plädieren dafür, das wahr und ernst zu nehmen, was wir individuell im speziellen Kontext und brandaktuell fühlen und brauchen, statt mühsam eine Fassade aufrecht zu erhalten, wie wir nach einer bestimmten »Lehre« gerne fühlen und reagieren würden, um »gute GFKlerlnnen « zu sein! Die Fassade entfremdet von der eigenen Lebendigkeit und pervertiert damit die Ermutigung der GFK, echt zu sein! GFK ist nicht nett, sondern eine der vielen Chancen, aufrichtige Verbindung zu schaffen!
Eine empathische Reaktion gegenüber starken Vulkanausbrüchen -Angriffen und Schuldzuweisungen – setzt also immer einen eigenen gefüllten »Empathie-Akku « voraus! Fühlen wir uns ausgelaugt, schwach oder hilflos, hat Selbstschutz Vorrang vor Fremdempathie, auch, wenn wir mediieren. Auch Mediatorlnnen können Stopp sagen. Konfliktklärung auf Kosten des eigenen Systems ist ein Nullsummenspiel (einer gewinnt, einer verliert), das die Empathie gebende Person teuer bezahlt und das keinen Anreiz zu einer Wiederholung bietet. Es trägt nicht den Geist der Mediation in sich, der stets einen Gewinn aller Konfliktparteien anstrebt. Wer sich dessen bewusst ist und verantwortlich mit sich selbst umgeht, kann auf dem »Roten Tuch« in vergleichsweise kurzer Zeit erleben und erlernen, wie wohltuend und effizient GFK im Umgang mit starken Gefühlen ist.
* Monika Oboth: Kulturanthropologin und Politologin, Mediatorin und Ausbilderin BM, Organisationsentwicklerin, zertifizierte Trainerin für Gewaltfreie Kommunikation, E-Mail: oboth@bmc-germany.de
* Al Weckert: Volkswirt, Organisationsentwickler, Mediator und Trainer für Gewaltfreie Kommunikation (Schwerpunkt: Konfliktmanagement im Gesundheitswesen und in Großunternehmen)
(c) Spektrum der Mediation 37/2010 Fachzeitschrift des Bundesverbandes Mediation
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