Zum Tod von Marshall Rosenberg

10. Februar 2015

Marshall Rosenberg ist am 7. Februar 2015 in Albuquerque, New Mexico gestorben. Anlässlich seines Todes habe ich die Biografie ins Netz gespielt, die ich 2014 für die Zeitschrift Kommunikation & Seminar geschrieben habe (hier geht’s zur Marshall Rosenberg Biografie). Es geht mir wie vielen anderen Menschen: Ich bin Marshall Rosenberg außerordentlich dankbar. Mit Hilfe der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) hat sich mir das Thema Empathie erschlossen. Es war, als ob Rosenberg mir eine Brille aufgesetzt hätte: Ich hatte die Vision eines anderen Miteinanders schon immer trübe vor mir gesehen. Zum Greifen nah, konnte ich das Wesen stabiler zwischenmenschlicher Beziehungen doch nicht be-greifen. Erst durch die Beschäftigung mit Gewaltfreier Kommunikation bekam ich einen klaren Blick für die Gefühle und die Bedürfnisse meiner Mitmenschen. Alles begann damit, dass ich mich selbst besser verstehen lernte. Es war an einem warmen Apriltag, als ich Marshall Rosenberg folgenden Satz sprechen hörte…

„Alles was wir tun, tun wir auf Grund von Bedürfnissen“. Sinngemäß fuhr Rosenberg fort: Alle Bedürfnisse dienen dem Leben. Nichts was wir tun, ist schlecht. Aber einige Strategien zur Befriedigung unserer Bedürfnisse entfremden uns von anderen.

Als ich das hörte, schlug es wie der Blitz bei mir ein. Ich bin mit einem sehr starken Dominanz-Denken erzogen worden. Richtig war, was die Eltern, die Lehrer und andere Autoritäten sagten. Falsch war alles, was dem widersprach. Als Kind hörte ich sehr oft, dass irgendetwas an meinem Verhalten verkehrt sei. Ich gehöre einer Generation an, die regelmäßig beim Pfarrer beichten musste. Auch physische Gewalt bei abweichendem Verhalten war weit verbreitet in meinen Jahrgängen. Die damit verbundene Anspannung konnte ich in jeder Faser meines Körpers spüren. Zu denken, dass mit mir und meinen Impulsen alles in Ordnung ist, war für mich eine existenzielle Befreiung. Ich konnte mir nun auch eingestehen, dass mir als Rebell die Empfindungen der Umwelt immer ziemlich egal gewesen waren. Die Lösung lag vor mir: Ich brauchte mich nur zu fragen, wie ich mir meine Bedürfnisse erfüllen kann, ohne es auf Kosten der Bedürfnisse anderer Menschen zu tun.

Diese Botschaft hörte ich in dem berühmten Marshall Rosenberg Workshop-Mitschnitt von 2006 aus München (Auditorium-Netzwerk-Verlag). Er umfasst 8 CDs. Die Konsekutivübersetzung ist legendär (some like it, some hate it). Ich habe die CDs 5x hintereinander gehört, also 40 CDs in zwei Wochen! Und in dieser Zeitspanne setzte eine Art innerer Defragmentierungsprozess ein, der ohne weiteres Zutun viele alte Wunden heilte. Die Botschaft ist so simpel: Wie kann ich erspüren, was ich in der Gegenwart fühle und brauche? Wie kann ich spüren, was mein Gegenüber fühlt und braucht? Gibt es Möglichkeiten zur Bedürfnisbefriedigung, die Verbindung schafft? „Simpel, aber nicht einfach“, wie Rosenberg sagte.

Auch wenn ich mich heute mit komplexen Fragestellungen aus dem Bereich Personalentwicklung, Empathie-Forschung und Trauma-Heilung beschäftige, ist mir die einfache Botschaft von damals immer noch die wichtigste. Sie begleitet mich jeden Tag, auch in schwierigen Situationen. Und jedes Mal sitze ich geistig auf der Wiese, spüre die Sonne auf meinem Nacken und den versönlichen Klang der Stimme Rosenbergs in meinen Ohren: „Alles was wir tun, tun wir auf Grund von Bedürfnissen.“

Rest in Peace, Marshall.